Now, that’s real cool work!
Ach, wie waren sie in den letzten Jahren doch nicht alle froh, in den von der allgegenwärtigen Personalnot so gebeutelten Organisationen, in deren Führungsetagen und HR-Departments?! Dass ihnen doch noch etwas eingefallen ist, um die wenigen attraktiven potenziellen Neuzugänge da draußen anzulocken. „New Work“ nannten sie ihr Konzept. Flexible Arbeitszeiten, Home-Office, neue Formen des Co-Working, Desk-Sharing, hippes Inventar, neue innovative Büro-Konzepte. Kicker, Dartscheiben und andere Plätze zum Gamen, Austoben oder Chillen – all dies hielt Einzug in die Bürokomplexe. Dazu natürlich Smoothies, Barista-Equipment und High-Tech-Kühlaggregate, ganz nach Geschmacksrichtung. Und vieles andere mehr.
Job is Family
HP gilt quasi als Godfather of New Work. HP sagt dir nichts? Dann gehörst du wohl zu den Hoffnungsträgern der jüngeren Generationen. Tja, der Glanz von HP ist mittlerweile etwas verblasst, die große IT-Bühne wird von anderen megaloman anmutenden Konzernen dominiert. HP steht für Hewlett Packard. Ihr Erfolgsrezept (in den Neunzigern): Job is Family. Alles wurde gemeinsam mit den Arbeitskolleg*innen gemacht – inklusive Feierabend, Urlaube usw. Dafür gab es umfangreiche Angebote und Dienstleistungen, die das Büro zum einzig wahren Lebensmittelpunkt machen sollten. Das Motto: Alles Lebensrelevante passiert im Zusammenhang mit dem Job. Optimalerweise gleich im Job, am Arbeitsplatz. Alphabet/Google und andere zogen bald nach bzw. überholten die alten Vorbilder durch noch kreativere Angebote. Das Prinzip blieb gleich: Attraktivierung des Arbeitsumfelds in Kombination mit Freiräumen, die sowohl den Mitarbeiter*innen wie auch den Unternehmen Vorteile brachten.
Erfüllung sucht man in diesen Ansätzen allein in einem schöneren, besseren Arbeitsleben. Office-Wellbeing quasi. Gepimpt mit Arbeiten zuhause oder wo auch immer. Das Private wird zum Home-Office, Arbeitszeiten auf ständige Erreichbarkeit und Kommunikationsbereitschaft ausgedehnt.
Der Job als uneingeschränkter Lebensmittelpunkt. Und das ist auch schon der Haken an der Sache. Bei HP und all den anderen Vorreitern. Es funktioniert so lange, wie die Mitarbeiter*innen jung, Single, familienlos sind.
Muss das so sein?
Höchste Zeit, sich einmal in aller Ruhe die Frage zu stellen, ob das denn wirklich so ein schlaues Konzept ist. Finde ich. Sich damit auseinanderzusetzen, ob man das tatsächlich so haben will. Die Firma als omnipräsente Lebenswelt? Der Gedanke, dass jederzeit – egal ob Tag oder Nacht, Wochentag oder Wochenende, Arbeits- oder Urlaubswoche – etwas daherkommen kann, was Vorrang vor allem anderen („Unwichtigem“ wie z.B. Privatem, Persönlichem) genießt. Weil es der Job eben mal so erfordert …
Noch dazu, wo neuerdings eh schon wieder alle im Krisenmodus sind und sich damit das ursprüngliche Kernproblem (kaum bzw. keine adäquaten neuen Mitarbeiter*innen zu gewinnen) weit weniger brisant darstellt.
Wollten die New Work-Erfinder*innen Arbeit tatsächlich auf diese – bedenkliche – Weise neu definieren?!? Wohl nicht ganz.
Es fügt sich
In den letzten Monaten ist mir einiges Interessantes untergekommen. Und es fügt sich nach und nach, ich komme drauf, dass es großartig zusammenpasst. So entstand in mir eine neue Landkarte der Arbeitswelt.
Da gibt es die alte, bekannte Welt: mit Organisationen, die teilweise absolut in Ordnung sind, viele durchaus okay, etliche fragwürdig, manche brutal daneben. Dazwischen ein paar exotische Einsprengsel: jene, die sich über New Work definieren, tatsächlich aber auch zum wohl vertrauten Establishment zählen.
Dazu kommt in den letzten Jahren ein Trend, der immer stärker ins kollektive Bewusstsein rückt: „Good Work“. Vor dem Hintergrund von Wertewandel und sich anbahnender Klimakatastrophe, massiver Ressourcenverschwendung, diversen Kriegen und der omnipräsenten Frage nach dem Wozu, nach dem großen Sinn, vor all diesen Phänomenen geht es (wieder?) darum, Gutes zu tun. Einen nachhaltigen Nutzen zu stiften, eine große Sinngeschichte glaubhaft erzählen zu können, all den kritischen und anspruchsvollen Mitgliedern der neuen Generationen (die sich ja teilweise als „Letzte Generation“ bezeichnen) etwas zu bieten, wo sie sich gut einbringen und mitgehen können. Good Work als der ethische Zugang zur Gestaltung von Arbeit. Das ist das große Narrativ, egal ob man es „Meaning“, „Purpose“ oder „Das große Wow“ nennt.
Auf der individuellen Ebene – dort, wo ich „Das kleine Wow“ verorte – besteht die große Gefahr, dass wir uns in der Arbeit verlieren, uns durch unsere Ansprüche an Leistung, Performance, Qualität verausgaben, ausbrennen, zu Tode rackern. Höchste Zeit, der allgegenwärtigen Dynamik kräftig entgegenzuwirken. Stets nur flexibler, schneller, präsenter, dynamischer, komplexer und so weiter, das geht ja nicht einmal auf die bekannte Kuhhaut! Kleine vorsichtige Ansätze tauchen auf, etwa unter dem Namen Micro-Retirement. Minimale Rückzüge ins Biedermeierlich-Private, nur um dann umso fitter und gestärkter wieder zurückzukommen. Eh okay, wenn es für die Einzelnen tatsächlich stimmig ist. Die Herausforderung wird sich allerdings nicht bloß auf der individuellen Ebene lösen lassen, dazu sind die Wirkkräfte zu mächtig. Heißt konkret, dass sich auch die Organisationen sowie die Gesellschaft etwas überlegen dürfen. Einen neuen unterstützenden Rahmen anbieten, mit schlauen Konzepten – für die in den Organisationen arbeitenden Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit. Mit konkreten Angeboten zum Handling all dieser teils überfordernder Rahmenbedingungen, etwa in Form eines organisationsinternen Paradigmas des „Calm Working“ und – ganz im Gegensatz zu den eingangs beschriebenen alten Ansätzen (HP, Google …) – eines neuen Verständnisses von Wellbeing, das die Mitarbeitenden nicht noch mehr am Arbeitsplatz hält, sondern sich ganz bewusst außerhalb abspielt.
Cool Work
Und jetzt wird es ganz spannend. Was, wenn es tatsächlich gelänge, Arbeit so zu gestalten, dass sowohl die gemeinsamen Erfordernisse wie auch die individuellen Bedürfnisse realisiert würden?! Das wäre doch richtig cool, oder? Deshalb spreche ich in diesem Zusammenhang von „Cool Work“. Weil es letztlich auf die Begeisterung der Beteiligten ankommt. Begeisterung, die daraus entsteht, dass sich die Menschen in ihren Zugängen, Wünschen und Vorstellungen von Arbeit wirklich ernst genommen fühlen und nicht nur das. Sie können diese auch einbringen und ihr Tun so gestalten, dass es ihnen wirklich entspricht. Logischerweise im Rahmen dessen, was im gemeinsamen Kontext der Organisation sinnvoll, zielführend und möglich ist.
Noch ist vieles davon im Konjunktiv formuliert. Noch. Denn ich bin wild entschlossen, das alsbald als Gesamtkonzept zur Gestaltung von Arbeit und Organisationen anzuwenden. Im kleinen Format gibt es das bereits vielfach, klar. Bei jedem Workshop, jedem OE-Prozess, den ich beratend begleite, kommt es zu einem Aushandeln der unterschiedlichen Anliegen. Stets lautet die Devise, die künftige Weise des Arbeitens so zu vereinbaren, dass sie möglichst alle Ansprüche abdeckt. Auf der Organisationsebene genauso wie individuell und – nicht zu vergessen! – auch auf Teambasis.
Ins konkrete Tun kommen
Dafür gibt es viele konkrete Ansätze und unzählige Möglichkeiten – denn bekanntermaßen sind sowohl die Anliegen der verschiedenen Menschen wie auch die Rahmenbedingungen und Ziele der Organisationen höchst unterschiedlich. Und dementsprechend variantenreich und vielfältig muss auch die Gestaltung „coolen Arbeitens“ sein. Ich freue mich jedenfalls auf ein spannendes und äußerst ergiebiges Konkretisieren!