Führung – Mythen und Missverständnisse 2

„Gute Führungskräfte erfüllen die Wünsche ihrer Mitarbeiter*innen“

„Erfülle deinen Mitarbeiter*innen all ihre Wünsche!“ Manche Führungskräfte scheinen dies zu ihrem obersten Führungsprinzip auserkoren zu haben.
Euren Wunscharbeitsplatz im Wunschbüro? Bekommt ihr. Logisch.
Die ungeliebten Aufgaben einem anderen übergeben? Kannst du gerne, hoffen wir halt, dass sich dieser leichter damit tut.
Vier Tage pro Woche Home-Office? Mehrere Wochen Urlaub zu der Zeit, wo etliche zuvor schon ihren Urlaub angemeldet haben? Meinetwegen, irgendwie werden wir das schon hinkriegen. Ich werde mich da doch nicht querlegen.
Bonuszahlungen für eine Performance im Normalbereich? Wenn du meinst, es steht dir zu, lieber Mitarbeiter, dann kann ich ja gar nichts dagegen haben …

Woher diese Haltung wohl kommt …

Was kann eine Führungskraft dazu veranlassen? Nun, da gibt es mehrere mögliche Gründe.

Einige glauben tatsächlich, diese Einstellung würde sie zu einer guten Führungskraft machen – aus einem äußerst fragwürdigen Umkehrschluss heraus. Wenn jemand, der Mitarbeiter*innen mies behandelt, zurecht als schlechte Führungskraft gilt, dann müssen vorbildliche Chefs und Chefinnen stets auf der Seite ihrer Mitarbeiter*innen sein, ihnen jeden Wunsch erfüllen, auf jedes ihrer Bedürfnisse eingehen. So basteln sie sich ihr Begründungskonstrukt zusammen. Sie verstehen sich demnach als deren wahre Interessensvertreter, geben sich als Gönner und Spender – und sind dann zerknirscht, wenn ihnen dafür nicht ausreichend gedankt wird.

Andere wiederum sind nur aus der Not heraus so mitarbeiterfreundlich. Sie wähnen sich als Opfer der besonders argen Umstände: „Wir können gar nicht anders, wir müssen uns das leisten, weil der Arbeitsmarkt aktuell so angespannt ist.“ Stimmt schon, es fällt in einigen Segmenten tatsächlich äußerst schwer, geeignete Mitarbeiter*innen zu finden. Viel Glück, wenn Sie etwa auf der Suche nach guten IT’ler*innen sind. Da werden Gagen und andere Benefits in Aussicht gestellt, worüber man nur staunen kann. Also ködern unsere mitarbeiterfreundlichen Führungskräfte etwaige Kandidat*innen mit völlig überzogenen Angeboten. Lesen ihren Mitarbeitenden alle Wünsche von den Lippen ab, selbst die unausgesprochenen. Manch einer glaubt dabei besonders schlau zu sein. Seinen Wettbewerbern quasi ein strategisches Schnippchen zu schlagen und aus dem so genannten „War for Talents“ siegreich hervorzugehen. Und merkt in seinem Eifer gar nicht, dass er sich dabei selbst verkauft.

… und was sie bewirkt

Worin bestehen nun die Konsequenzen aus diesem Führungsstil (übrigens unabhängig von den Gründen dafür)?

  • Es entstehen weitere, oft überzogene Ansprüche, meist getrieben durch interne Vergleiche und den daraus entstehenden Neid. „Ich will auch – weshalb sollen nur die Neuen und Lauten profitieren?“
  • Die Mitarbeiter*innen – und zwar sowohl die Neuen wie auch die Stammbesetzung, jedenfalls all jene, die sich das trauen – tanzen der Führungskraft auf der Nase herum. Sie gilt als verkauft, als schwach, als leicht zu knacken.
  • Und das Mitarbeiter-Commitment zur Führungskraft bzw. zum Unternehmen? Fehlanzeige. Zumindest äußerst dünn.
  • Durch all diese Phänomene erhöht sich die Attraktivität eines Wechsels für alle Mitarbeiter*innen. Also auch für jene, die man keinesfalls verlieren möchte. Fachexpert*innen, Kompetenz- und Leistungsträger*innen sind fast überall gefragt. Beim nächstbesseren Angebot werden zumindest die käuflichen Charaktere mit dem Gedanken spielen weiterzuziehen.
  • Was sich hingegen verringert: die oft beschworene und aktuell gerade ganz hoch gehandelte „Mitarbeiterbindung“. (Diese hat übrigens manchmal durchaus etwas mit Knebelverträgen und drastischer Verringerung der Bewegungsfreiheit zu tun, ganz im Gegensatz zur ursprünglichen positiven Idee der Verbundenheit – aber das ist eine andere Geschichte.)

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