Aus meinem persönlichen COVID-Logbuch

Was macht die COVID-Krise eigentlich mit den Organisationen und den Menschen in ihnen? Das interessiert mich naturgemäß von Anfang an sehr – und meine Beobachtungen und Überlegungen haben auch schon den einen oder anderen interessanten Ansatz hervorgebracht.

Zu lange im Krisenmodus … wie lange noch?

Egal in welchen Jobs, in welcher Branche, in welcher Funktion – überall strengen sich Menschen seit vielen Monaten über Gebühr an. Nehmen enorme zusätzliche Belastungen auf sich. Passen sich flexibel an sich permanent verändernde Rahmenbedingungen und ständig neue Regeln an. Machen gute Miene dazu. Halten durch. Setzen für ihre Kunden, ihre Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und Vorgesetzte und wohl auch für sich selbst ein freundliches Gesicht auf. Bringen Augenzwinkern, Humor und Entspannung hinein. Nehmen inhaltsleere Durchhalteparolen gelassen zur Kenntnis. Obwohl ihnen manchmal ganz anders zumute wäre. Je länger diese zermürbende Phase dauert, umso schwieriger wird es, ein konstruktives Mindset zu bewahren.

Überraschende Belastbarkeit

Mancherorts zeigt sich ein überraschendes Phänomen: Die vermeintlich Belastbaren werden in dieser Krise auf einmal ihrem Ruf nicht mehr gerecht. Und jene, von denen man früher gedacht hätte, sie würden nur wenig aushalten, geben plötzlich den Fels in der Brandung.

Dieses Phänomen ist zwar nicht die Regel – dort, wo es sich einstellt, verblüfft es allerdings umso mehr. Woher kann das rühren, dass die persönliche Belastbarkeit auf einmal eine ganz andere ist als noch kurz zuvor?

Zum einen hängt das mit der Lebenssituation der Menschen zusammen. Was hat sich verändert? Worauf muss der/die Einzelne verzichten? Welche Inseln der Seligkeit und des Auftankens hat jemand noch zur Verfügung? Lebt er/sie alleine? Einsam? Oder eingebunden in stabile und unmittelbar spürbare Beziehungen? Welche zusätzlichen Belastungen durch pflegebedürftige Menschen oder genervte Home-Schooler oder andere sind da? Wie viele Sorgen macht er/sie sich?

Und zum anderen ist stets zu bedenken, dass die aktuellen Herausforderungen keine „normalen“, also üblichen Belastungen darstellen, für deren Bewältigung man bereits gut trainiert ist. Hier ist etwas ganz Besonderes gefordert. Und zwar von uns allen. Nichts, das wir im Handumdrehen reparieren oder gleich gänzlich aus der Welt schaffen können. Sondern etwas, wo uns die Perspektive fehlt, wo der Zeitpunkt der bewältigten Krise noch völlig ungewiss ist. Irgendwo da vorne in der mittleren bis ferneren Zukunft …?! „Verdammt noch mal, wie lange noch?“ denken sich viele zurecht.

Wenn Sie sich bisher in puncto Krisenbewältigung auf bestimmte Menschen verlassen haben, bedenken Sie, dass auch ihnen die Luft ausgehen könnte. Es ist keineswegs sicher, dass Ihre Held*innen auch diesmal bereit sind, die Last des Durchtauchens geduldig zu schultern.

Resignation, Frust, Wut

Wie jemand auf diese herben Rahmenbedingungen reagiert, ist individuell ganz unterschiedlich. Was sich derzeit allerdings bei vielen beobachten lässt: Es hat sich mächtig was aufgestaut. Unter anderem dadurch, dass man es sich versagt hat, das Ventil zu öffnen und sich mal Luft zu machen. Nur ja keine Aerosole verbreiten! Aus Rücksicht auf die anderen und/oder weil man die Regeln einhalten will.

Jedenfalls nehme ich ein großes – ich befürchte: vor allem destruktives – Potenzial wahr. Man kann es u.a. an den Protesten jener erkennen, die gegen die Corona-Maßnahmen der Regierungen auf die Straße gehen oder in den sogenannten sozialen Netzwerken anschreiben. Sie wollen es „denen da oben“ offensichtlich mal zeigen, „dem Staat“, „den Einschränkern“ mal kräftig die Meinung sagen. Psychologisch-emotional verständlich, diese „Bewegung“. Auch nachvollziehbar, dass manche „Sympathieträger“ dies für ihre Zwecke nutzen – politische Rechtsaußen mit ihren erbärmlichen Ansätzen genauso wie gewiefte Geschäftemacher. So wurde etwa das Wort „Querdenken“ regelrecht entstellt und in den Morast ihrer Profitsucht und Agitation für ultra-konservative Werte gezogen. Mit ihnen kommen Menschen, Standpunkte und Forderungen aus irgendwelchen Löchern hervorgekrochen, von denen man – fälschlicherweise – geglaubt hat, wir hätten sie im vergangenen Jahrhundert hinter uns gelassen …

Gewachsen in irgendwelchen Hohlköpfen und getragen vom Nährboden aus kollektiver Ohnmacht und Hilflosigkeit. Das gilt es offenbar zur Kenntnis zu nehmen – man muss es ja nicht unwidersprochen stehen lassen.

Zurück zu meinem wirklichen Betätigungsfeld – ich bin ja nicht auf der Bühne der Politik unterwegs, sondern in der Welt der Unternehmen.

Was braucht es in den Organisationen jetzt?

Bevor ich an die Beantwortung dieser Frage gehe, lassen Sie mich zuerst ausführen, was aus meiner Sicht definitiv der falsche Zugang wäre. Und zwar die Hoffnung, dass sich all das wieder legen wird, dass es sicher bald wieder abebbt, dann wieder die „alte Normalität“ einkehrt. Kombiniert mit aufmunterndem Schulterklopfen und inhaltsleeren Durchhalteparolen. Wer noch mehr an Wut, Frust und Resignation provozieren möchte, kann ja auf diese „Strategie“ setzen.

Also – wie wär’s stattdessen …

  • … mit echter Wertschätzung und Anerkennung – für besondere Beiträge sowieso, aber auch für das bloße Ertragen der Situation?
  • … für Möglichkeiten zu sorgen, in einer wohltuenden, passenden Weise Aufgestautes loszuwerden und sich mal ordentlich Luft zu machen?
  • … mit einer individuell orientierten Herangehensweise? Also sich zu fragen, wem genau jetzt was guttun würde. Kombiniert mit kollektiver Sinn-Erfahrung, inklusive ergiebigen Antworten auf die Fragen: Wozu tun wir uns das überhaupt an? Was bringt uns das?
  • … mit Möglichkeiten der direkten Interaktion und Kommunikation (anstelle einer weiteren Online-Information per Videokonferenz, gähn)?
  • … mit echtem Fokussieren der wirklich wichtigen Aufgaben anstelle der stets nervigen Pfennigfuchserei (wo sind noch ein paar Cents oder meinetwegen Euros einzusparen?)?
  • … mit einer Initiative, gemeinsam herauszufinden, wofür die aktuellen Bedingungen tatsächlich als Chance zu sehen sind und was es einfach abzuarbeiten gilt (ohne darum allzu viel Aufhebens zu machen)?
  • … für das Heben und Bearbeiten dieser Chancen Ressourcen zur Verfügung zu stellen? Unter anderem, um Erfüllung und Sinn zu ermöglichen – in Zeiten wie diesen noch wichtiger als sonst!

Ich bin gespannt, welche nachhaltig erfolgreichen Initiativen in diesen Wochen und Monaten in den Unternehmen ihren Ausgang nehmen. Und wer irgendwann auf 2020/2021 zurückblicken und froh sein wird, die Verschnaufpause und die daraus resultierenden Chancen dieser Zeit gut genutzt zu haben.

MEHR BEITRÄGE ZUM THEMA

Einer für alles? Weshalb Geschäftsführer von KMU in die Wunderwuzzi-Falle tappen

2023-12-04T23:26:02+01:00
Nach oben